Kreativität » Julian Przybos schrieb in Akzente – Aus der Poetik

Kunst des Schreibens ist Kunst des Streichens.
Erzähle nicht, beschreibe nicht, besinge nicht,
mach nicht in Stimmung, schrei nicht, verkünde nicht,
blase nicht ins rhetorische Horn.

Lyrik ist die für den Wandel, für das Neue empfindlichste Kunstgattung des Worts.
Deshalb ist das sogenannte „Schöpfen aus der Tradition“ im lyrischen Schaffen – verglichen mit solchen Anlehnungen in anderen, gewissermaßen langsameren Gattungen – wenig fruchtbar, wenn nicht überhaupt - unmöglich. Ein gutes lyrisches Gedicht ist Definition einer bis dahin unbekannten Bewegung des Gefühls und der Phantasie.
Wie ist also ein Gedicht zu beurteilen? Nach dem Grad seines Antitraditionalismus.
Das wäre das negative Kriterium.

Und das positive!
Ein gutes Gedicht ist Entdeckung einer allgemein noch unbekannten emotionellen Verhaltensweise, also einer neuen lyrischen Situation, die der veränderten sittlichen Situation entspricht. Ein gutes Gedicht, indem es diese neue lyrische Situation wahrnimmt, verändert die bisherige Gefühls-, Vorstellungs- und Bewertungsweise.

Woran erkennt man, dass man es mit Poesie und nicht nur mit Versbildung zu tun hat.
Daran, dass der Dichter die bereits von früheren und ihm zeitgenössischen Poeten beherrschten lyrischen Situationen nicht wiederholt und dass er sich selbst nicht wiederholt.
Ein idealer Lyriker wäre also ein Autor von Gedichten, von denen jedes Entdeckung einer neuen lyrischen Situation wäre.

Die Devise „Schreib am wenigsten“ kann falsch sein, denn sie könnte zum Stillstand des poetischen Betriebes führen, aber immer richtig ist die Losung: „Gestalte dich um: habe Herz - in anderen Herzen!“


Eins ist mehr als drei

Kunst des Schreibens ist Kunst des Streichens.
Die Wiederholung verdeutlicht die Sache nicht, sondern verringert und setzt sie außer Kraft.
Wenn der Dichter keinen anderen Weg findet, um seine Bewegung auszudrücken, als nur durch Reduplikation oder durch den Kehrreim (Das ist Macht, das ist Gewalt) oder (Deine herrlichen, herrlichen Augen«) - so schwächt er beim Leser oder Hörer den Glauben an seine Bewegung (nur die ihrer Wahrheit Unsicheren wiederholen diese hartnäckig).
Drei gleiche oder ähnliche, oder auch sogar - steigernde Bestimmungen sind schwächer als zwei, zwei schwächer als eine, eine als...? Am ausdrucksvollsten wäre ein Epitheton, das ausdrücklich verschwiegen wurde.


Moral

Ob ich ein Gedicht schreiben könnte, das nur Traurigkeit ausdrückt.
Ein Gedicht, in dem ich sagen könnte: .Ich bin traurig’.
Nein. Ich werde niemals ein solches Gedicht schreiben, ich könnte nicht, weil ich,
solange Poesie in mir lebt, nicht unglücklich sein kann.
Denn Poesie ist - summa summarum - Balsam des Lebens,
Enthüllung seines stets freudigen Sinns. Sogar die unfreundliche,
grausame Wahrheit, - wenn sie Poesie ist – ist froh.


Julian Przybos in Akzente – Aus der Poetik

oh ... regularien..
streben nach einzigartigkeit?

die worte nehmen doch einem jeden mut, sich "reimend" zu äußern.

wie traurig, nein leblos ist ein leben, dessen geist sich erschöpft in analyse und auswerten des tuns. werten des anderen, sich selbst als unangreifbar sehend.

Nein, Caja, der Aufsatz von Julian Przybos sollen uns keine Regeln sein, schon gar nicht hier unter "Kreativität".

Seine Ausführungen zur Poetik wurden in "Akzente" bereits 1963 veröffentlicht. Ich habe sie damals wie heute mit großem Interesse gelesen und denke auch, dass er in meinen Gedichten eine Wirkung hinterlassen hat.

Das ist gut für Euch.... scheint mir. Für mich ist das alles mindestens 5 Schritte zu weit und würde mich völlig entmutigen, irgendetwas zu Papier zu bringen. Als mutiger Lehrling werde ich mich erst einmal in Versbildung üben... zur Poesie werde ich wohl niemals wirklich vordringen und trotzdem... jetzt übe ich. Das heißt, ich werde auch einen traurigen Vers schreiben, wenn ich traurig bin. Traurigkeit ist doch erlaubt, auch wenn es Musik gibt, die mich beglückt und auch die Poesie Anderer, die mich froh macht?

Lass Dich keinesfalls entmutigen, Judith,
und schreibe so, wie Du es willst.

Gut Jürgen, das mache ich glatt. Ich übe weiter!
Gruß
Judith